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Erlebnisse und Gedanken zu 30 Jahren Einheit

Viel erreicht in 30 Jahren Deutsche Einheit

Greiz. Was ist Heimat? Christian Tischner ist Greizer durch und durch. Er hat in der Stadt an der Weißen Elster Kindheit und Jugend verbracht und als Junglehrer in seiner Heimatstadt unterrichten. Greiz ist für ihn nach einem kurzen beruflichen Engagement in Bremen Lebensmittelpunkt mit seiner Frau, die in der häuslichen Altenpflege tätig ist, und den zwei kleinen Söhnen. „Auch Familie ist Heimat“, sagt Tischner.

Er hat in Greiz nicht nur seinen familiären Bande, sondern auch seine politische Basis. Kommunalpolitisch ist er verankert – und stolz darauf, dass es der CDU gelungen sei, alte Streitereien hinter sich zu lassen und „gemeinsam für die Stadt“ anzutreten. Die Konzentration auf Sachpolitik haben sich auch bei der jüngsten Bürgermeisterwahl ausgezahlt. „Unser Kandidat hat unter sechs Kandidaten im ersten Wahlgang 58 Prozent erreicht“, erklärt Tischner. „Der Wahlkreis 40, die Region zwischen Pöllwitz und Pölzig, zählt zu den schönsten in unserem ganzen Freistaat. Er ist unsere Heimat“, betont der Vogtländer, der seit 2014 als CDU-Abgeordneter dem Thüringer Landtag angehört.

Viele aus Tischners Generation haben nach 1989 einen anderen Weg eingeschlagen – weg aus der Heimat. Und die meisten sind nicht zurückgekommen. Als Zweitklässler erlebte Christian Tischner die friedliche Revolution hautnah. Seine Großmutter Gretel, Jahrgang 1920, der er sich besonders verbunden fühlte, war von Anfang an bei den Demonstrationen im nahen Plauen dabei. Die Teilung war in der Familie immer ein Thema gewesen, weil Friedel, die Schwester der Großmutter bald nach dem Krieg nach Paris gegangen war. Jahrzehnte lang hatten sich die Schwestern nicht sehen können. Und als die Mauer fiel, erlebte der Junge nicht nur die Wiedersehensfreude. Er nutzte auch die Reisemöglichkiten, um nicht nur die Verwandten in Frankreich, sondern auch deren Nachkommen in den USA zu besuchen. Spannende Zeiten. Aber es zog ihn immer wieder nach Hause: „Ich bin heimatverbunden“, sagt er. Das habe viel mit der Familie, aber auch mit der Sprache zu tun. „Ich verstelle mich nicht gern. Und man kann immer dort am authentischsten sein, wo man zu Hause ist“, fasst er zusammen. Und so nennt er seinen kleinen Sohn „Karlschen“ oder „Schatzel“, denn „das Verniedlichen ist typische in unserem Sprache“. Und er erinnert sich daran, dass Großtante Friedel trotz all der Jahre in Frankreich „sofort in den plauischen Dialekt“ gefallen sei, wenn sie mit den Verwandten aus dem Vogtland sprach. „Selbst die Verwandten aus Amerika freuen sich an diesem Klang. Sprache ist eben doch auch Heimat“, sagt er.

Der junge Christian Tischner erlebte aber auch, wie Schulfreunde weggingen, weil deren Eltern im Westen oder Süden des bald vereinten Deutschland ihr berufliches Glück suchten.

Tischners bleiben. Der Vater ist Baggerfahrer, die Mutter Reinemachefrau. „Einfache Leute, bescheidene Verhältnisse. Wir konnten keine großen Sprünge machen“, umschreibt Tischner seine Herkunft. Er weiß, dass die Eltern Angst hatten, die Arbeit zu verlieren. Doch der Vater kam bei einem ehemaligen Kollegen unter, der sich selbstständig gemacht hatte. Die Mutter putzt noch immer im Kindergarten. Er empfindet es als Glück, dass die Familie über all die Veränderungen der vergangenen 30 Jahre hinweg „im Vogtland bleiben konnte“ – und seine Eltern auch nicht wie etwa der Vater seiner Frau wöchentlich pendeln muss. Wobei: Der Schwiegervater sei mit der Situation im Reinen, habe immer gut verdient. Kurz vor der Rente wolle er nun nicht in Thüringen was Neues beginnen... Dabei werden Fachkräfte hierzulande mittlerweile händeringend gesucht.

Tischner weiß aus eigenem Erleben, dass „uns im ländlichen Raum eine ganze Abiturgeneration fehlt“. Immer wieder höre er, dass manche gerne zurückkommen würde. „Aber für jene, die Spitzenjobs haben, fehlen uns die Arbeitsplätze in der Region“, macht er deutlich. Wenn, dann orientierten sich die Menschen im Vogtland eher Richtung Plauen, Chemnitz oder Leipzig. „Gera ist für uns in Ostthüringen leider nicht das Oberzentrum mit großer Strahlkraft in die Region“, gibt Tischner zu bedenken.

Der kleine Christian verbrachte viel Zeit mit Oma Gretel, der Mutter seines Vaters – und die erzählt ihm, wie schlimm Krieg und wie wichtig Demokratie ist. „Ihre Eltern, meine Urgroßeltern, waren unter den Ersten, die in Plauen der SPD angehörten“, sagt Tischner. Prägend in anderer Weise war seine Großtante Erna, die der Kriegsgeneration angehörte, Kommunistin war, der SED angehörte und sich ehrlich eingebracht habe in der DDR, „Sie war 1990 sehr enttäuscht, als sie erfahren hat, wie die DDR-Führung wirklich gelebt hat“, sagt er. Von Tante Erna habe er „das Politische abgekommen: Sie stand immer für ihrer Sache ein“, macht er deutlich – auch wenn er parteipolitisch über die Junge Union in die CDU einen anderen Weg gegangen ist.

Und er wird früh selbstständig, geht alleine auf Reisen... Aber Greiz bleibt der Ort, an den es ihn zurückzieht – auch nach dem Lehrerstudium in Jena und Halle. Sein Referendariat kann er dort 2006 antreten, weil zu jener Zeit unter der Althaus-Regierung junge Lehrer wieder eine Chance bekommen im Thüringer Schuldienst. Doch mit der schwarz-roten Regierung nach 2009 wurde „zu uns 50, 60 jungen Lehrern in Thüringen gesagt, dass wir keine festen Verträge erhalten würden“. Tischner arbeitete daraufhin an der Uni in Jena – und bewarb sich erfolgreich als Universitätslektor an der Uni Bremen. „Das war ganz attraktiv“, sagt er über seine Aufgabe in der Lehrerausbildung. „Eine unheimlich spannende Zeit“, hebt er im Rückblick auf diese eineinhalb Jahre hervor. Er pendelte Woche für Woche. Die Distanz habe einen reflektierteren Blick auf die Heimat bewirkt, so Tischner. „Wir Greizer sind ja in der Tallage zuhause und sehen manchmal auch nur unser Tal. Und in der Zeit in Bremen habe ich nicht nur erlebt, wie groß die Welt ist, sondern dass es auch überall Probleme gibt – und dass bei uns in Ostthüringen vieles vorangegangen und schön geworden ist“, sagt Tischner. Wer nach Greiz komme, sei womöglich vom kulturellen Angebot erstaunt. Jedes Wochenende gebe es mehrere Möglichkeiten, Veranstaltungen zu besuchen. Dass hier vieles erhalten und manches neu hinzugekommen ist, macht das Vogtland interessant. „Und der Greizerist stolz auf seine Heimat. Wenn Besuch kommt, dann zeigt er gerne vor, was die Stadt bietet...“ Aber: Manches hat eben auch nicht geklappt. Zum Beispiel fehlt ein Hotel, damit Besucher, die auf Busreise nach Greiz kommen, nicht anderswo übernachten müssen. Er setzt in dieser Frage auf die Findigkeit des neuen Bürgermeisters. Nichts geworden ist auch aus der Ansiedlung einer Fachhochschule in Greiz. Das sei in der frühen Nachwendezeit im Gespräch gewesen, aber letztlich habe Nordhausen damals das Rennen gemacht, erinnert Tischner. „Das Thema ist durch“, sagt er mit Bedauern. Denn Schulen bringen junge Leute in die Stadt – und wegen der Tallage ist die Ansiedlung von Industrie eher schwierig.

Tischner hätte durchaus in Bremen seinen beruflichen Weg an der Uni machen können. Aber für die Rückkehr sprach vor einem halben Jahrzehnt mehreres: die Aussicht, um den Wahlkreis zu kämpfen, und ein festes Angebot im Schuldienst. Tischner unterrichtete an der Kooperativen Gesamtschule KGS Adolf Reichwein in Jena. „Mir war immer wichtig, erst dann in die Politik zu gehen, als ich beruflich unabhängig war“, macht er deutlich. Würde er nicht mehr Politik machen wollen, könnte er zurück in den Schuldienst. Diese innere Freiheit sei ihm wichtig.

„Meine Generation muss dafür sorgen, dass diese Freiheit auch im Politischen erhalten bleibt“, betont er mit Blick darauf, dass die Großeltern noch den Krieg und die Eltern immerhin eine lange Zeit der Teilung durchstehen mussten. „Für mich ist das auch Motivation, mich politisch zu engagieren. Denn das politische System, das wir jetzt haben, eröffnet uns die größten politischen Freiheiten – und jeder kann etwas aus seinem Leben machen, auch wenn er aus einfachen Verhältnissen kommt“, sagt Tischner.

In den Landtag lädt Christian Tischner gerne Schulklassen ein. Er erinnert sich noch gut daran, wie es für ihn 1997 war, als er mit seiner Klasse nach Erfurt fuhr. „Ich habe nicht gar getraut, eine Frage zu stellen, weil ich dachte, es könnte eine dumme Frage sein.“ Heute merke er, wie aufgeweckt und überlegt die jungen Menschen seien – und wie empfänglich dafür, über Werte zu sprechen. Das, sagt Tischner, sei ein wichtiges Thema, das er vertiefen wollte.

Von Gerlinde Sommer TLZ, https://www.tlz.de/politik/chr...